In den letzten zehn Jahren hat die Sequenzierung von Ribonukleinsäure (RNA-Seq)* im Bereich der Genomik und der therapeutischen Arzneimittelprüfung stark an Bedeutung gewonnen. Bei der RNA-Sequenzierung wird die Genexpression im gesamten Genom untersucht sowie vollständig und unverfälscht dargestellt. Vereinfacht gesagt hilft RNA-Seq dabei, die biologische Beschaffenheit von Lebewesen zu verstehen. Das Potenzial ist gross, doch bisher kann die Probenvorbereitung für die RNA-Seq noch nicht wirtschaftlich und in grossem Massstab erfolgen, weshalb die Methode bisher in der Industrie noch nicht grossflächig angewendet wird.
BRB-Seq-Technologie verbessert unser Verständnis biologischer Prozesse
Um die hohen Kosten der routinemässigen Probenvorbereitung für RNA-seq-Operationen zu dämpfen, haben das Labor für Systembiologie und Genetik der EPFL und sein Spin-off-Unternehmen Alithea Genomics das sogenannte «Bulk RNA Barcoding and sequencing» (BRB-Seq) entwickelt. Diese Technologie ermöglicht Wissenschaftlern, die Genexpression von Zellen zu analysieren und dadurch besser zu verstehen, wie Zellen funktionieren und unter verschiedene Bedingungen reagieren. Bei dieser Methode werden die verschiedenen Proben in einer frühen Phase mit einer molekularen Strichcodierung versehen, wodurch ihre RNA später per Massensequenzierung bestimmt werden kann. Mit mittlerem bis hohem Durchsatz werden die Proben in Multiwellplatten (à 96 oder 384 Proben) verarbeitet, bevor sie in einem einzigen Röhrchen zusammenkommen.
Einfache und effektive Systeme basierend auf der Smart Lid Plattform des CSEM
Im Rahmen von Bridge- und Innosuisse-Projekten haben Alithea Genomics und das «Tools for Life Sciences»-Team von CSEM eine Technologie zum automatischen Einsammeln aller Proben aus Multiwellplatten in einem einzigen Reagenzglas entwickelt. Ihre Lösung nennt sich Microfluidic Pooling Lid und basiert auf der CSEM Smart-Lid-Plattform, die über mikrofluidische Kanäle verfügt und mit verschiedenen Standard-Mikrowellplatten kompatibel ist. Durch eine Pumpe auf einer eigenständigen Plattform kann der Deckel die Flüssigkeiten aus den Vertiefungen per Vakuumextraktion in ein einziges Röhrchen fördern. Auf diese Weise können Hunderte, bis Tausende Wells in einem Arbeitsgang verarbeitet werden. Die endgültige Ausführung kann über 90% des Inhalts von bis zu vier 96-Well-Platten in unter zwei Minuten aufnehmen.
Dank der kompakten Bauweise und der ausgezeichneten Möglichkeiten zum Skalieren auf grosse Mengen eignet sich dieses einfache und doch effiziente System ideal für Unternehmen mit begrenztem Platzangebot. Das System mit mittlerem Durchsatz verwendet Einweg-Laborgerätschaften. Bei den Testläufen wurde die Menge an verarbeiteter RNA bei gleichleibendem Zeitaufwand und Platzbedarf stetig gesteigert. Die Verarbeitung der RNA-Seq-Proben wurde von der EPFL validiert und ist genauso leistungsfähig wie die manuelle Verarbeitung, benötigt jedoch viel weniger Zeit.
«Das einfach zu bedienende Barcoding-Kit und das Poolen aller Proben senkt die RNA-Sequenzierungskosten pro Probe erheblich. Wir gehen davon aus, dass diese Technologie innerhalb der nächsten fünf Jahre zur Marktreife kommt und die RNA-Verarbeitung mit Big Data zur Arzneimittelforschung ermöglichen wird», so Stéphanie Boder-Pasche, Senior Project Manager bei CSEM.
Effizienzsteigerung bei Biobank-Analysen und Wirkstoffscreenings
«Der Markt für Pooling-Technologie wird durch die Nutzung der BRB-Seq-Technologie durch grosse Pharma- und F&E-Unternehmen getrieben», erläutert Dr. Riccardo Dainese, CEO von Alithea Genomics. «Unsere patentierte BRB-Seq-Methode senkt die Kosten deutlich und steigert zugleich den RNA-Seq-Durchsatz. Die Technologie ermöglicht die Ausführung von Aufgaben, die zuvor aufgrund der Kosten und des Aufwands nicht möglich waren.»
Anwendungen von der Einzelzellanalyse hin zur Diagnostik
Die Beurteilung der Genaktivität in Bioproben, beispielsweise die Transkriptomanalyse, die Erstellung von Genexpressionsprofilen, die Identifizierung neuartiger Transkripte und Mutationen in der Krebsforschung, birgt ein erhebliches Potenzial für die Entdeckung und Entwicklung neuartiger Arzneimittel und Diagnosemöglichkeiten. «Diese Zusammenarbeit hat für uns den Markt für Hochdurchsatz-Genomik geöffnet und unsere Smart-Lid-Technologie vorangetrieben. Die Vielfalt an Smart-Lid-Formaten und -Funktionen macht diese als Schlüsseltechnologien für die Life-Science-Industrie attraktiv», ergänzt Gilles Weder, Co-Head Research & Business Development Life Science Technologies bei CSEM. «Dank diesem Know-how und zusammen mit unseren KI-Experten und ‑Expertinnen für Life Science und Biosystems-Engineering im Switzerland Innovation Park Basel Area in Allschwil können wir interdisziplinäre Lösungen für Life-Science-Anwendungen anbieten.»
*Während die DNA-Sequenzierung das Erbgut untersucht (Genomik), wird bei der RNA-Sequenzierung untersucht, wie unsere Gene in unseren Zellen exprimiert werden (Transkriptomik). Gene sind wie Anweisungen für unseren Körper, die durch RNA weitergegeben werden. Durch die Analyse des RNA-Profils einer Zelle ist es möglich, aktive Gene zu erkennen. Diese Informationen können genutzt werden, um Krankheiten besser zu verstehen und neue Behandlungsmethoden zu entwickeln.